Mit der neuen Klimatechnik Elastokalorik wird es möglich, Gebäude nur über Lüftungsschlitze zu kühlen und zu heizen. Sie transportiert Wärme einfach, indem dünne Drähte oder Bleche aus Nickel-Titan belastet und entlastet werden. Dabei kommt sie ohne klimaschädliche Kältemittel aus und ist energieeffizient. Das Weltwirtschaftsforum WEF listete das Verfahren soeben in seinen TOP Ten Technologies 2024. Professor Paul Motzki und sein Team an der Universität des Saarlandes gewannen jetzt mit einem internationalen Konsortium eine EIC Pathfinder Challenge im Umfang von vier Millionen Euro: Ziel ist, den Prototyp einer dezentralen Wohnraumklimatisierung in den nächsten drei Jahren zu entwickeln.
Auf „visionäre, radikal neue“ Technologien, die Wandel ins Leben bringen können, globale Herausforderungen angehen und ganz neue Märkte schaffen, zielt das Pathfinder-Programm des Europäischen Innovationsrates (European Innovation Council), kurz EIC, ab. Seine prestigeträchtige Förderung ist Nachweis von Forschungsexzellenz. Vier Millionen Euro investiert der EIC jetzt in ein Projekt des Elastokalorik-Pioniers Paul Motzki, bei dem sein Team an der Universität des Saarlandes mit europäischen Partnern zusammenarbeitet. – Aus dem Saarland kommt eine völlig neue, klimaschonende Kühl- und Heiztechnologie, die sich weltweit durchsetzen könnte.
In den nächsten drei Jahren soll im Projekt „SMACool“ ein Prototyp einer Klimaanlagen-Einheit für Wohnhäuser entstehen. Durch dezente, schmale Lüftungsschlitze in Außenwänden soll Frischluft ins Haus strömen, die je nach Bedarf erwärmt oder gekühlt wird, bis die Wohlfühltemperatur für diesen speziellen Raum erreicht ist. „Wir wollen Häuser mit unserer Technologie nicht mit einer zentralen Anlage beheizen und kühlen, sondern dezentral und individuell jeden einzelnen Raum. Hierfür entwickeln wir eine kompakte Einheit, die unsere Technologie enthält, und künftig zum Beispiel in neuen Häusern direkt mit dem ohnehin erforderlichen Lüftungssystem eingebaut werden kann“, erklärt Professor Paul Motzki, der das Konsortium des Projektes SMACool leitet. Beteiligt sind neben den Saarbrücker Forscherinnen und Forschern die Universitäten in Ljubljana und Neapel (Federico II) und das Unternehmen exergyn aus Irland.
Die Technologie könnte mit Blick auf den Klimawandel eine Alternative zu den herkömmlichen Kühl- und Heizmethoden werden, die viel Energie verbrauchen und Klima und Umwelt belasten. „Die Elastokalorik funktioniert als Wärmepumpe und Kühlanlage zugleich. Sie ist energieeffizienter und nachhaltiger als heutige Klimatechnik und kommt gänzlich ohne klimaschädliche Kältemittel aus. Der Wirkungsgrad elastokalorischer Materialien beläuft sich auf mehr als das Zehnfache im Vergleich zu heutigen Klima- oder Heizanlagen – sie werden deutlich weniger Strom benötigen“, erklärt Paul Motzki. „Mit dem in diesem Projekt geplanten Verfahren erreichen wir beim Kühlen und auch beim Heizen Temperaturdifferenzen jeweils von rund 20 Grad Celsius“, sagt der Experte für smarte Materialsysteme. Sowohl das Energieministerium der USA als auch die Kommission der Europäischen Union deklarierten diese Klimatechnologie bereits als zukunftsträchtigste Alternative zu den bisherigen Verfahren. Soeben hat auch das Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum) WEF die Elastokalorik in seine TOP Ten Technologies 2024 aufgenommen.
Das neue Heiz- und Kühlverfahren beruht auf einem auf den ersten Blick einfachen Prinzip: Wärme wird aus einem Raum abtransportiert oder in einen Raum hineintransportiert, indem ein Formgedächtnismaterial, in Form etwa von Drähten, belastet, also zum Beispiel gezogen, und wieder entlastet wird. Dabei nimmt das Material Wärme auf und gibt sie wieder ab. Die Saarbrücker Forscher verwenden hierbei die superelastische Legierung Nickel-Titan. Materialien aus dieser Legierung nehmen ihre ursprüngliche Form wieder an, nachdem sie verformt werden. Der Grund: Sie besitzt zwei Kristallgitter, zwei Phasen, die sich ineinander umwandeln können. Während etwa Wasser die Phasen fest, flüssig und gasförmig annimmt, sind beide Phasen von Nickel-Titan fest. Aber eine Phase geht in die andere über. Und bei diesem Vorgang nehmen die Drähte Wärme auf und geben sie wieder ab. „Das Formgedächtnismaterial gibt Wärme ab, wenn es im superelastischen Zustand gezogen wird, und nimmt Wärme auf, wenn es entlastet wird“, erläutert Paul Motzki, der eine Brückenprofessur zwischen der Universität des Saarlandes und ZeMA innehat, wo er den Forschungsbereich „Smarte Materialsysteme“ leitet.
Das Forschungsteam arbeitet nun daran, die Technologie so von Verfahren und Design her weiterzuentwickeln, dass sie praxistauglich in Häusern eingebaut werden kann. Die Herausforderung liegt darin, eine Apparatur zu konstruieren, die in einem Kreislaufsystem so funktioniert, dass der beste Kühl- oder Heizeffekt erzielt wird, wenn Luft daran vorbeigeleitet wird. „Wir werden hier anstelle der Drähte, mit denen wir bislang vor allem gearbeitet haben, um das Verfahren zu entwickeln, dünne Bleche aus Nickel-Titan verwenden, weil diese durch die größere Oberfläche mehr Wärme aufnehmen und abgeben“, erläutert Paul Motzki. Die Saarbrücker Forscherinnen und Forscher können hier auf zahlreiche Forschungsarbeiten aufbauen: Ihre neue Technologie ist das Ergebnis aus rund 15 Jahren Forschung in mehreren in Millionenhöhe geförderten Forschungsprojekten und in mehrfach ausgezeichneten Doktorarbeiten. Professor Stefan Seelecke, Doktorvater von Paul Motzki, ist der Begründer des Themas „Smarte Materialien“ im Saarland. Beide arbeiten eng an der Universität des Saarlandes und am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik, Zema, zusammen. Die Saarbrücker Forschungsteams haben bereits unter anderem einen Kühl- und Heizdemonstrator und einen Kühlschrank entwickelt, der kontinuierlich laufen kann und zeigt, wie Elastokalorik Luft kühlt beziehungsweise erwärmt.
Zwei Millionen Euro der Fördersumme des EIC Pathfinder Grants fließen in die Forschung und Entwicklung an der Universität des Saarlandes. Die Saarbrücker Ingenieurinnen und Ingenieure forschen daran, wie ein Antrieb die Bleche permanent in Gang hält – hier arbeiten sie mit dem Antriebstechniker Matthias Nienhaus und seinem Team an der Universität des Saarlandes zusammen –, wie die Luftströme idealerweise aussehen, welche Form der Nickel-Titan-Bleche am besten geeignet ist, wie stark diese idealerweise für eine bestimmte Kühl- oder Heizleistung belastet und entlastet werden und vieles mehr. Sie haben auch eine Software entwickelt, mit der sie die Heiz- und Kühltechnik für verschiedene Anwendungen anpassen und Kühlsysteme simulieren und planen können. Und sie erforschen den kompletten Kreislauf von Materialherstellung und Recycling bis zur Produktion.
Am SMACool-Projekt ist auch Triathlon, das integrierte Ökosystem für Entrepreneurship, Innovation und Transfer an der Universität des Saarlandes beteiligt, das bei Kommunikation, Technologiemanagement und Verwertungsstrategie unterstützt.
Quelle: www.uni-saarland.de